Ob der Wappenkundler das Rätsel um das seltsame Symbol lösen konnte, ist nicht bekannt. Wilhelm Busch habe fast alle an ihn gerichteten Briefe vernichtet, weiß Gudrun-Sophie Frommhage, Leiterin des Museums „Wilhelm-Busch-Geburtshaus“ in Wiedensahl. Darunter waren leider auch die Erwiderungen Warneckes. Bis heute weckt das Zeichen Interesse bei Betrachtern. Die von uns befragten Experten haben verschiedene Erklärungsansätze.
Ist es ein Zeichen der Freimaurer? Reinhard Burdinski, Meister vom Stuhl der Hamelner Freimaurerloge „Zur Königlichen Eiche“, glaubt das nicht. Er hat sich das Symbol näher angeschaut und ist zu dem Schluss gekommen: „Mit ziemlicher Sicherheit ist das kein Zeichen der Freimaurer. Diese Symbolik gibt es nicht. Sie weise auch keine Ähnlichkeit zu bekannten Zeichen auf. Überhaupt sei die Loge „Zur Eiche“ in Hameln erst 1778 gegründet worden, der Stein aber schon 1550 bearbeitet worden.
Also ist es ein Steinmetzzeichen? „Eher nicht“, meint der Hamelner Archäologe Joachim Schween. „Die sehen für gewöhnlich etwas anders aus, sind auch nicht so symmetrisch.“ Dagegen spreche auch, dass sich das Zeichen an so prominenter Stelle und in dieser Größe befindet. „Steinmetzzeichen sind kleiner und wären wohl rechts oder links unten angebracht worden.“
Denkmalpfleger Michael Voss (Stadt Hameln) meint dagegen: „Meines Erachtens handelt es sich nicht um ein Zunftzeichen, wie Wilhelm Busch vermutet hat, sondern um ein Steinmetzzeichen. Das ist so etwas wie die Signatur des Stein-Bildhauers und damit sehr individuell.“ Wie Schween findet Voss die Platzierung des Zeichens allerdings „merkwürdig“. Sie weiche von den üblichen Gepflogenheiten ab. „Vielleicht handelt es sich doch eher ein historisches Graffito oder die Hinterlassenschaft eines Handwerkers, der eine Reparatur ausgeführt hat.“
Und was meint die Kunsthistorikerin Ruth Brunngraber-Malottke? Für die stellvertretende Leiterin des Wilhelm-Busch-Museums in Hannover steht fest: „Ein Maurerzeichen ist das auf gar keinen Fall.“
Im Inschriftenkatalog „Dio“ (Deutsche Inschriften Online) wird das Symbol als „Hausmarke“ bezeichnet. Eine Hausmarke (auch Hauszeichen, Handgemal) ist ein Eigentumszeichen, später Sippenzeichen, das früher außen an Häusern und Gegenständen angebracht wurde. Allerdings schrieb Wilhelm Busch über das Zeichen: „Man sieht es in Hameln mehr an Gebäuden.“ Die Busch-Kennerin Brunngraber-Malottke deutet die Aussage so, dass Busch das Zeichen „auch an anderen Orten, also schon häufiger, gesehen hat.“ Wenn das stimmt, würde das gegen eine Hausmarke sprechen.
Die Kunsthistorikerin denkt eher an „ein runenähnliches Zeichen, dessen Bedeutung in einem alttestamentarischen Kontext zu suchen ist“. Doch Pfarrer Joachim Wingert von der katholischen St.-Augustinus-Gemeinde in Hameln geht nicht davon aus, dass es sich um ein christliches Zeichen handelt.
Dem Archäologen Schween ist aufgefallen, dass im Holzschnitt mit dem „Sündenfall“ von Lucas Cranach dem Älteren aus dem Jahr 1509, der als Vorlage für das Motiv auf der Hamelner Beischlagwange von 1550 gilt, ebenfalls Wappen zu sehen sind. „An einem Ast des Baumes der Erkenntnis hängen die Wappen des sächsischen Kurfürsten, für den Cranach seinerzeit tätig war. Und am Stamm befindet sich ein Flugblatt oder Ähnliches mit dem Monogramm Lucas Cranachs, der Jahreszahl 1509 und seinem Wappentier, der geflügelten Schlange.“
Schween folgert daraus: „Bei dem Zeichen in Hameln handelt es sich um eine Künstlersignatur, die an Steinmetzzeichen angelehnt ist.“ Gut möglich, dass der Steinbildhauer – dem Beispiel Cranachs folgend – sein eigenes Fantasie-Wappen kreiert hat.