EXTERTAL/SCHWEINHEIM. Ein Dorf wurde beim Jahrhundert-Hochwasser fast gänzlich zerstört. Lippische Ersthelfer waren vor Ort und kamen mehrmals wieder. Sie leisten eine kleine Hilfe mit großer Wirkung.
Kurze Hose, von der ersten Frühlingssonne knackig gebräunt und verdammt gut gelaunt. So sitzt Patrick Behrens im Mehrgenerationenhaus in Silixen. An seinen Händen erkennt man sofort, dieser Kerl kann zupacken. Ein paar Meter neben ihm sitzt Michael Winter, zurückgelehnt, er ist ohnehin der ruhigere von beiden. Doch auch ihm sieht man an: Malochen kann der Mann. Beide gehörten zu einer sechsköpfigen Gruppe aus dem Extertal, die im Flutgebiet, genauer gesagt in Euskirchen-Schweinheim, Kinderherzen wieder höherschlagen lassen.
EXTERTAL/SCHWEINHEIM. Aus den Medien aus dem Sinn. Das ist der tiefere Sinn dieses Termins in Silixen. Denn über die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wird – wenn überhaupt noch – in lokalen Spartenprogrammen berichtet. Auch deswegen möchten Patrick Behrens und Michael Winter das Thema zumindest wieder in die lokale Öffentlichkeit tragen.
Es entwickelt sich ein Gespräch, das schnell über das eigentliche Wirken der sechs Männer aus dem Lippischen hinaus geht. Die Not ist auch etliche Monate nach dem verhängnisvollen 15. Juli, als das Jahrhunderthochwasser buchstäblich in wenigen Sekunden ganze Dörfer wegspülte und Menschen, die eine Minute zuvor noch ein geordnetes Leben geführt hatten, ins Chaos stürzte, groß. Bis heute. „Eine Familie durfte nach vielen Monaten endlich wieder zurück in den vor dem Hochwasser gerade fertiggestellten Rohbau ihres Einfamilienhauses“, erzählt Behrens. Ein Silberstreif am Horizont nach vielen Monaten ohne Heimat und voller Ungewissheit. Mitnichten. Der Baugutachter stellte fest: Alles einreißen. Die Familie steht vor den Trümmern des Traumes eines Einfamilienhauses in dem idyllischen Schweinheim.
Flutgebiete schlimmer verwüstet als ein Kriegsgebiet
Das Dorf mit seinen bis dahin 416 Einwohnern zählt zur Kreisstadt Euskirchen und wurde 2021 zum „schönsten Dorf von NRW“ gewählt. Das Schild stand natürlich am Ortseingang. Dann kam das Wasser und riss nicht nur das Schild mit. Es hinterließ ein Feld der Verwüstung.
„Das sah schlimmer aus als im Krieg“, erinnert sich Behrens. Er war als Berufssoldat im Kosovo. Nun ist er Berufsfeuerwehrmann und war mit rund 300 lippischen Kameraden, auch den Freiwilligen Feuerwehren, als einer der ersten Nothelfer in Schweinheim vor Ort und musste Euskirchener Kameraden sogar aus einer Notlage befreien. Die Staumauer der Steinbachtalsperre drohte den Wassermassen nicht mehr standhalten zu können.
Ist eine weitere Flut möglich?
Fluthelfer in Lebensgefahr
„Wäre es so gekommen, hätten wir keine 30 Sekunden Zeit gehabt, um uns in Sicherheit zu bringen.“ Eindrücke, die hängen bleiben. Nach dem Einsatz war Behrens aber klar: Das kann nicht alles gewesen sein. Er und die Silixer wollten den Schweinheimern helfen. Eine Initiative der Silixer Dorfgemeinschaft schaffte es, eine ordentliche Menge Geld und ganz viele Sachspenden für die Erste Hilfe zu sammeln. Aber da war noch mehr zu tun, vor allem für die Kinder. Behrens erinnert sich: „Die spielten zwischen den Trümmern, weil natürlich auch der Spielplatz komplett zerstört war. Der lag in der inzwischen als unbewohnbar erklärten Ortsmitte und war dementsprechend ein Treffpunkt für die Dorfgemeinschaft.
Impressionen aus Schweinheim
Ein Kleinunternehmen für ein Wochenende nach Schweinheim verlegt
Winter war einer der Männer, die sich nach einigen Einsätzen in Schweinheim ein weiteres Mal aufmachten, um etwas außerhalb einen neuen Dorftreffpunkt zu schaffen. „Wir wussten, der Spielplatz wird ohnehin als Letztes gemacht werden. So lange sollten die Menschen aber nicht warten“, sagt Behrens.
Winter ist selbstständiger Garten- und Landschaftsbauer und verlegte kurzerhand seinen ganzen Maschinenpark in die Eifel. Der Konvoi aus zwei Baggern, einem Radlader, einem Lkw, einem Bulli und diversen Anhängern, beladen mit kleinen Maschinen, rollte nach Schweinheim. Viele Silixer Unternehmen und Privatleute griffen wiederum mit Geld- und Sachspenden unter die Arme. Auch die Gemeinde Extertal half unbürokratisch und stellte den Bulli und Sitzbänke. Die Männer, die vor Ort waren, packten an dreieinhalb Tagen 280 Arbeitsstunden lang mit an. Blumen, eine schon hoch gewachsene Eiche, eine Sitzgarnitur und Baumaterialien wurden eingebracht. Außerdem ein Naschgarten angelegt.
Fluthilfen fließen nur stockend
Nach den Einsätzen, in denen auch Freundschaften entstanden sind, wissen sowohl Behrens und Winter: „Relationen verschieben sich.“ In den Zeiten, in denen die Betroffenen auf die versprochenen aber wohl scheinbar spärlich fließenden Entschädigungen warten, haben die Silixer ein wenig Hoffnung in den Alltag der Dorfgemeinschaft gebracht. So viel neuen Mut, dass sich das Dorf wieder um einen Preis bewerben wird: Sie wollen einen Vorher-Nachher-Wettbewerb gewinnen. Vielleicht helfen dabei auch die Silixer Hände. Denn dieser Einsatz werde nicht der letzte gewesen sein, versprechen die beiden an diesem herrlich sonnigen und vor allem trockenen Tag im Extertal.
Mein Standpunkt Von Christian Bendig Warum denn nach so langer Zeit ein Artikel über diese Flutkatastrophe, mögen sich einige Leser fragen. Ein Leitsatz lautet: Ein Journalist darf sich mit einer Sache nie gemeinmachen. Als die Einladung zu dem Termin eintrudelte, konnte ich aber nicht ablehnen. Denn ein Freund ist genauso betroffen wie die Menschen in Schweinheim. Das Thema liegt mir also am Herzen. Zudem stehen die Silixer Kameraden stellvertretend für alle Helfer aus der Region, die im Einsatz waren.
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