Wo es vor 10 oder 15 Jahren in jedem Städtchen und auf vielen Dörfern Antiquitätenläden gab, sucht man heute meistens vergebens welche. Der Verkauf von antiken Möbeln lohnt sich einfach nicht mehr. Ein Besuch im Trödelladen.
Biedermeier – das klingt spießig, nach sattem, etwas trägem Bürgertum, „weder kalt noch warm“, wie es in einem Gedicht über den fiktiven „Herrn Biedermeier“ heißt. Sieht man sich aber die Möbel aus dieser Zeit zwischen 1810 und 1850 an, erkennt man einen erstaunlich souveränen Stil von schlichter Eleganz, der außerdem das verbreiten kann, was so lebensfrohe Wesen wie die Hobbits bei J. J. Tolkien mit dem Wort „Behaglichkeit“ umschreiben. Das meiste, was die älteren Generationen an Antiquitäten besitzen, stammt aus dem Biedermeier. Das durchaus Verwirrende ist: Dieser Einrichtungsstil, der etwas Zeitloses zu haben schien, ist bei jungen Leuten ganz und gar abgeschrieben. Das hat gravierende Konsequenzen für den Antiquitätenhandel. Wo es vor zehn, fünfzehn Jahren in jedem Städtchen und auf vielen Dörfern Antiquitätenläden gab, sucht man heute meistens vergebens welche. Der Verkauf von antiken Möbeln lohnt sich einfach nicht mehr.
„Inzwischen handele ich gar nicht mehr
mit alten Möbeln“
Ulrike Franke, die in der Hamelner Innenstadt ein Antiquitätengeschäft besitzt und seit 35 Jahren mit Antiquitäten handelt, hat diesen Niedergang hautnah miterlebt. Sie erzählt zum Beispiel von einem wunderschönen Eckschrank aus Kirschholz, den ihr früherer Partner immer vom Verkauf zurückhielt, weil er ihn als eine Art Sicherheit für finanziell kritische Zeiten ansah. Mindestens 10 000, eher sogar 15 000 Euro Erlös erhoffte er sich vom Verkauf. Als er ihn aber vor fünf Jahren über das Internet anbot, gab es kein Gebot, das über 1000 Euro hinausging. „Inzwischen handele ich gar nicht mehr mit alten Möbeln“, sagt Ulrike Franke. „Es hat einfach keinen Sinn. Niemand will sie haben, und sie nehmen mir nur den Platz im Laden weg.“
Damals, als sie in Hannover mit dem Antiquitätenhandel begann, hatte sie das Gefühl, eine Goldgrube entdeckt zu haben. Auf Flohmärkten kaufte sie für kleines Geld ein und wurde alles für relativ großes Geld sofort wieder los. Zusammen mit ihrem Partner erstand sie einen Resthof im Weserbergland, der zum Möbellager umfunktioniert wurde und zu den ersten dieser typischen ländlichen Antiquitätenläden in der Gegend gehörte. Was nicht von den Einheimischen gekauft wurde, ging weg an holländische Händler, die regelmäßig durch die Lande fuhren, um antike Möbel aufzukaufen. „Das war ein tolles Geschäft“, sagt sie. Bis vor etwa zwölf Jahren.
Die Möbel aus dem Biedermeier, Tische, Stühle, Sekretäre, Schränke und Kommoden, sie spiegelten ein neues bürgerliches Selbstbewusstsein wider und brachten in ihrer unverschnörkelten Schönheit die Distanz zum oft überladenen Barock und Rokoko des Adels zum Ausdruck, einem Adel, der so offensichtlich nicht in der Lage war, wirtschaftlich und konstruktiv mit der modernen Zeit mithalten zu können. Das erklärt Dr. Dieter Alfter, ehemaliger Leiter des Museums im Schloss Bad Pyrmont, Kunsthistoriker und Gutachter für antike Möbel. „Biedermeier-Möbel waren fast so verbreitet wie heute die Ikea-Möbel“, sagt er. „Sie standen ursprünglich für ein Lebensgefühl, das es vorher so nicht gab. Form und Funktion bilden dabei eine harmonische Einheit, eine Grundidee, die sich ja in gewisser Weise auch im Stil des schwedischen Möbelhauses wiederfindet.“
Der große Unterschied: Während die Möbel, die auch die heutigen Großeltern so sehr faszinierten, dass ungezählte Antiquitätenhändler von dieser Vorliebe existieren konnten, wegen der Handwerkskunst, die in ihnen steckt, als Geldanlage, Erbe für die Kinder und überhaupt als Einrichtung für die Ewigkeit galten, sind heute solche Möbelstücke gefragt, die man problemlos auch wieder entsorgen kann. Hier und da darf vielleicht ein einzelnes altes Stück inmitten moderner Wohnlandschaften stehen.
Doch wohin mit der Möbel-Vielfalt aus den Haushaltsauflösungen bürgerlicher Senioren? „Der Markt ist überschwemmt“, sagt Händlerin Ulrike Franke. Und Dieter Alfter meint, dass die jüngere Generation inzwischen gar kein Gefühl mehr besitzt für die Qualität und den Charakter der Stilmöbel.
Wirklich außergewöhnliche Stücke fänden zwar noch ihre Käufer, mehr denn je sogar, so der Experte. Gerade habe er das Gutachten für einen Elfenbeinschrank aus dem Biedermeier erstellt, der dann für über zehn Millionen Euro verkauft wurde. Was unter den Möbeln Rang und Namen habe, werde weltweit gesucht und zu Höchstpreisen gehandelt. Wer aber in Städten wie Hameln oder Rinteln Abnehmer für grundsolide Biedermeier-Möbel suche, werde wohl kaum damit Glück haben.
So sieht das auch der Rintelner Antiquitätenhändler Gerhard Bauer mit seinem „Antikhaus“. Möbel kommen gar nicht erst in seinen Laden rein. Er handelt in erster Linie mit antikem Porzellan, und auch da ist die Lage für Händler prekär geworden. Er könne fast nur sehr wertvolles, antikes Geschirr verkaufen, unter Marken wie „Fürstenberg“ ginge gar nichts. Die Zeiten, wo es Leuten Spaß machte, Teller und Tassen mit Goldrand zu erstehen oder das alte Sonntagsservice der Familie zu ergänzen und wieder in Gebrauch zu nehmen, die seien vorbei. Gerhard Bauers Käufer stammen weniger aus Rinteln selbst, als dass sie, leidenschaftliche Sammler, aus ganz Norddeutschland anreisen.
Ulrike Franke aus Hameln überlebt, weil sie sich auf Schmuck spezialisiert hat. „Eine Zeit lang hatte ich es noch mit Möbeln versucht“, sagt sie. „Aber oft standen dann Kunden davor und meinten zu einem antiken Stück, es müsste ein bisschen größer oder kleiner oder schmaler sein – doch so geht das nun mal nicht.“ Sie hatte auch Sammlerpuppen im Angebot und ebenfalls Porzellan. „Nichts mehr zu machen“, meint sie. „Die Käufer von früher dachten, sie hätten eine Geldanlage erworben. Aber ihr Zeug, das werden sie nie mehr los.“ Auch was ihre privaten Antik-Möbel betrifft, so hat sie wenig Hoffnung, sie mal ihrem Sohn übergeben zu können. „Der interessiert sich überhaupt nicht dafür.“
Erneut also die Frage: Was geschieht mit den Möbeln, die einst so begehrt waren und sich heute oftmals nicht mal mehr verschenken lassen? „Nun, Möbel, die man irgendwo abstellt und nicht mehr pflegt, die gehen eben kaputt“, sagt Dieter Alfter. „Man sieht das bereits an den Möbelstücken aus dem Jugendstil. Die sind einfach aus der Welt der Möbelkunst verschwunden, es gibt sie praktisch nicht mehr.“ Das Beste vom Besten werde glanzvoll in sehr reichen Haushalten überleben. Viel sei ja auch an Museen verschenkt worden, natürlich auch an das Pyrmonter Museum im Schloss, wo allerdings kein Platz mehr für weitere Gaben vorhanden sei.
Anderes macht – das sei durchaus ein Trend – Metamorphosen durch. Die Stilmöbel würden fantastisch bemalt, mit indischen oder asiatischen Motiven, in knallbunten Farben oder mit Designer-Stoff bezogen – und warum auch nicht. „Wenn die Möbel nicht mehr von sich aus in meine Welt passen, dann passe ich sie eben meiner Welt an - ich kann daran nichts Anstößiges finden“, sagt er. Und schränkt es dann ein bisschen ein: „Man kann es ja so ausführen, dass sich die Sache auch wieder rückgängig machen lässt.“ Wer weiß, vielleicht kommt doch irgendwann eine Renaissance der Möbel aus dem Biedermeier.