Plötzlich friert die Bewegung des jungen Mannes ein, mit ernstem Blick, schmachtend, streckt er seinen Arm aus. An anderer Stelle reißt eine junge Frau cool und mit abweisender Geste ihren Ellenbogen zum Kopf, dass man sich fürchten möchte. Und bei einer weiteren Begegnung springt ein dreijähriges Mädchen im rosafarbenen Tutu über imaginäre Wassergräben. „Wir wollen den König besuchen“, hatte ihre Choreografin geheimnisvoll erzählt. Damit traf sie voll den Nerv der Kindergruppe, und der Eifer des Mädchens war geweckt: Hui, schon wackelte das Ballett-Röckchen in der Luft. Ganz richtig, es geht um Tanz.
Plötzlich friert die Bewegung des jungen Mannes ein, mit ernstem Blick, schmachtend, streckt er seinen Arm aus. An anderer Stelle reißt eine junge Frau cool und mit abweisender Geste ihren Ellenbogen zum Kopf, dass man sich fürchten möchte. Und bei einer weiteren Begegnung springt ein dreijähriges Mädchen im rosafarbenen Tutu über imaginäre Wassergräben. „Wir wollen den König besuchen“, hatte ihre Choreografin geheimnisvoll erzählt. Damit traf sie voll den Nerv der Kindergruppe, und der Eifer des Mädchens war geweckt: Hui, schon wackelte das Ballett-Röckchen in der Luft. Ganz richtig, es geht um Tanz.
Doch anders als das Tutu vermuten lässt, versuchen sich in verschiedenen Gruppen Laien beiderlei Geschlechts von ganz jung bis deutlich über 50 nicht im Ballett, sondern im Modernen Tanz. Das Ziel ist, eine gemeinsame Choreografie auf die Tanzbeine zu stellen und, wer weiß, vielleicht sogar auf die Bühne zu bringen. Vielleicht nicht vor ganz so großem Publikum wie bei den Hamelner Tanz-Theatertagen, bei denen ab 6. März ebenfalls moderner Tanz im Mittelpunkt steht. Doch während auf den Bühnenbrettern an der Sedanstraße – abgesehen vom Workshop – vorwiegend Profi-Tänzer das Publikum mit ihrem Können begeistern werden, hat sich in der Region eine eigene „Moderner-Tanz-Szene“ für Amateure entwickelt.
Vielfältige Angebote laden ein, sich die Welt von HipHop, Modern Jazz und Contemporary zu erschließen. Es lohnt sich, im Lieblings-Studio oder im Verein nachzufragen, welche Angebote es gibt. Denn die Erfahrungen der Akteure zeigen, dieses Hobby ermöglicht nicht nur, sportlich aktiv zu sein. Es helfe zum Beispiel, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, ein gutes Körpergefühl, sich in Gruppen besser zurechtzufin-den. Und gerade für Kinder kann Tanz eine ganz wichtige Ergänzung sein. Denn in Bezug auf die Bewegungsfähigkeit von Kindern schlagen auch Tanzpädagogen Alarm – gerade sie habe in den letzten Jahren erschreckend nachgelassen.
Eine Minute Tanz
bedeutet fünf Blatt Papier
„Wenn ich hier liege“, eine Tänzerin zeigt fragend auf den Boden, „muss Anna dann nicht mehr nach links?“ In der Tanzschule „Für Sie“ probt die elfköpfige Master-Class. Choreo- graf Hiep Tran geht der Sache auf den Grund. „Carolin fehlt doch“, ruft ihm irgendjemand zu – Problem gelöst. Die Meis-terschaft im Juni steht bevor, da sollte man besser nichts dem Zufall überlassen. Zufälle scheinen sowieso nicht Trans‘ Sache zu sein. Er zeigt, wie er eine Choreografie aufbaut. Jeden Schritt, jede Handbewegung hat er aufgeschrieben. Eine Minute Tanz bedeutet fünf Blatt Papier, dicht beschrieben mit Abkürzungen, zum Beispiel LF für linker Fuß, RH für rechte Hand.
Eine Scheibe klirrt, der Bass dröhnt. Das Stück „Policeman“ bringt Action in den Saal. Der Tanzlehrer achtet auf Körper-spannung, gibt zwischen den Sequenzen Hilfen: „Wenn Du die Beine ein wenig weiter öffnest, dann stehst Du tiefer und das ist leichter“, rät er. Eine Tänzerin hat Probleme mit ihrer Geste am Schluss. „Mache es aus Überzeugung“, rät Tran, „dann nimmt es Dir jeder ab. Wenn Du unsicher tanzt, dann fällt sofort auf, da stimmt was nicht.“
Tanzen wirkt sich auf die Persönlichkeit aus, das hat auch Ellen Krebs festgestellt. „Früher war ich richtig schüchtern“, verrät die 17-Jährige in einer Pause. „Heute sage ich“, sie ballt die Hand und hebt sich lachend vom Stuhl, „yeah, ich rock das jetzt.“ Eine selbstbewusste junge Frau, die durch einen Workshop sogar einen Platz an der Stage School in Hamburg ergatterte. „Jetzt mache ich mein Hobby zum Beruf“, jubelt sie.
Ihre Mitschülerin im Kurs, Louisa Mundhenke (17), gönnt ihr den Erfolg neidlos. „Das ist das Schöne hier, es gibt keine Konkurrenz, das Tanzen schweißt uns als Gruppe zu-sammen.“ Es sei ihr egal, wie andere Leute sie bewerten, wenn sie eine leere Tanzfläche erobere. „Ich fühle mich einfach ausdrucksstärker, präsenter“, so Louisa. Sie und Ellen überlegen, man könnte ja auch einmal auf der Rolltreppe in Hamelns Stadtgalerie tanzen: „Ui, was da die Leute wohl sagen werden“, feixt Louisa, „Ja! Das machen wir!“ – großes Gelächter bei den beiden Tänzerinnen.
Doch man sollte weiß Gott nicht glauben, dass nur Vertreterinnen des weiblichen Ge-schlechts vom Tanzen begeis-tert sind. Sonntagmittag in der Musicalschule Anke Rettkows- ki. 5 der 15 Tänzer, mit denen Tanzlehrer Edmond Rätzel vor dem riesigen Spiegel probt, sind Männer. Nicht nur die coolen Hip-Hop-Gesten hätten ihn zum Tanz gebracht, sagt Nikolay Eberhardt (27): „Wenn ich zurückblicke, dann finde ich heute schade, dass ich nicht schon eher damit angefangen habe. Allein schon, weil ich dadurch ein gutes Körpergefühl bekomme.“ Er habe auch früher schon gerne in der Disko getanzt. „Warum sollte ich das nicht perfektionieren?“ Der Tanzunterricht vermittle Sicherheit: „Ich brauche keinen Alkohol, um tanzen zu können“, grinst Eberhardt.
Drogen jedweder Art scheinen sich ohnedies nicht mit dem Tanzen zu vertragen, sonst klappt das mit der Choreografie nicht. Eberhardt hebt die Au-genbrauen: „Es ist manchmal kniffelig, das alles zu behal-ten.“ Die Übung macht‘s. Das sagt auch Timo Hake (25). „Man muss die einzelnen Sequenzen immer und immer wiederholen, nur das hilft bei der Choreografie.“ Sein eigentliches Steckenpferd sei der Kampfsport, berichtet er. Beim Parcours-Training lernte er den Tanzlehrer kennen, Ed Mo, wie sie ihn hier nennen.
Disziplin ist das Zauberwort. Was in anderen Einrichtungen des Lebens mitunter als Last empfunden wird, sehen die Tänzer als selbstverständliche Notwendigkeit: „Ed fordert uns anders als andere“, überlegt die 17-jährige Jamilah Magdy. „Er sagt uns, was passiert, wenn wir schludern. Wir tragen ganz klar alle Verantwortung.“ Damit es trotz der Wiederholungen immer spannend bleibt, baut Ed Mo auch mal Elemente vom Ballett ein und variiert mit der Musik. Auf der Tanzfläche klatscht Gülsen Yesilova (23) in die Hände. „Ja, da ist es“, freut sie sich, als sie wenige erste Takte eines Liedes mit afrikanischen Klängen hört. Wie automatisch tanzt sie ausdrucksstarke Bewegungen, genau synchron mit den anderen. Doch die scheint Gülsen gar nicht zu bemerken, so vertieft ist sie. Der Tanz – eine kleine Feier. „Wir lernen hier alle auch voneinander“, wird sie später sagen. „Alle können was beisteuern, zum Beispiel Elemente vom afrikanischen Tanz oder vom Bauchtanz“, empfindet sie das Miteinander als Bereicherung. Und Ed Mo betont: „Ja, wir sind hier wirklich multikulti.“ – Tanz als Medium für Integration.
„Es ist so wichtig,
dass die Kinder sich bewegen“
Doch früh übt sich, damit es etwas wird, auch mit den per-fekten Bewegungen. In der Kindergruppe verknüpft Anke Rettkowski Geschichten mit dem Tanz. „Ich kann ihnen ja nicht sagen, sie sollen Freude ausdrücken“, erklärt die Tanz-pädagogin. „Kurze, zuvor er-zählte Rahmenhandlungen stimmen die Kinder ein.“ Zur Musik gibt Rettkowski Stichworte, wie die Kinder die Aufgaben aus der Geschichte in Tanz umsetzen können. So werden die ersten Schritte auf neuem Parkett zum wahrhaft großen Abenteuer. „Es ist so wichtig, dass die Kinder sich bewegen“, sagt die Tanzlehrerin fast flehentlich. „In den letzten acht Jahren stellen wir verstärkt fest, dass Kinder nicht mehr in der Lage sind, zum Beispiel rückwärts zu hüpfen. Tanz kann hier ganz klar helfen, motorische Störungen von Kindern zu beheben.“
Auch wenn der Anfang manchmal aus anderen Grün-den schwer ist. Can Matteo (3), Sohn von Nadine und Serdar Ünal, habe überhaupt keine Probleme, sich zu bewegen, berichtet seine Mutter. „Er tanzt im Alltag schon oft und gerne, hat zum Beispiel lange und sehr konzentriert das Musical Rats verfolgt. Nur die anderen Kinder im Kreis anfassen, das liegt ihm nicht.“ In welche Richtung der Filius sich tänzerisch auch entwickelt, Ünals würden es auf jeden Fall unterstützen. Auch wenn Papa Serdar Ünal gegen einen Fußballer nichts einzuwenden hätte, „dann könnte ich mitmachen“.
Was Can Matteos Scheu angeht, die anderen Kinder anzufassen, das ist für sie bei ihren erwachsenen Tänzern auch nicht unbekannt. „Auch das ist ein Lernprozess“, sagt Tanzlehrerin Bella Gottwald von „Für Sie“. „Es kommt darauf an, wie weit der gruppendynamische Prozess ist.“ Und Tänzerin Saskia Wenzig (16) ergänzt: „Gerade Contemporary hat auch viel mit Schauspiel zu tun. Ein Bühnenkuss ist auch nicht echt, und ich bin mit meinem Tanzpartner auch kein Paar“, sagt sie.