Retter unter Feuer: Wie Interhelper zwei rollende Intensivstationen in die Ukraine bringen
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Die russischen Soldaten schreckten nicht davor zurück, einen Interhelp-Rettungswagen zu stehlen und auszuschlachten. Der Intensivtransportwagen hat Löcher durch Maschinengewehrsalven und Granatsplitter. Er wurde bei der Rückeroberung in einem Waldstück gefunden. Die Reparatur soll 7500 Euro kosten. So viel Geld können die Ukrainer jedoch nicht aufbringen. „In den vergangenen Monaten sind Menschen gestorben, weil es in der Gemeinde Nemishaeve keinen anderen Wagen gibt“, sagt die Interhelperin Nadija Filimonova. Foto: Interhelp
„Die Tour ist anstrengend“, sagt der Interhelper Tom Beck. „Aber es ist schon ein tolles Gefühl, mit Interhelp in der Ukraine Hilfe zur Selbsthilfe leisten zu können.“ Die Männer, die innerhalb von nur 38 Stunden 2300 Kilometer zurückgelegt haben, sind müde, aber zufrieden und glücklich. An der polnisch-ukrainischen Grenze haben sie zwei Rettungswagen an Nadija Filimonova und Sergej Filimonov von der Interhelp-Sektion „Ukraine“ übergeben. Die Ehrenamtlichen aus Irpin haben die rollenden Intensivstationen unter Einsatz ihres Lebens in das von Rzeszów (Polen) 700 Kilometer entfernte und durch schwere Kämpfe zerstörte Irpin gefahren – vorbei an eilig angelegten Friedhöfen, ausgebombten Häusern, verbrannten Fabriken und über zerschossene Straßen.
Schwerverletzte und lebensbedrohlich Erkrankte vor dem Tod bewahrt
Dort werden die Interhelp-Rettungswagen fortan Leben retten. „Zu wissen, dass wir dazu beitragen können, dass in der Ukraine Schwerverletzte und lebensbedrohlich Erkrankte vor dem Tod bewahrt werden, macht uns stolz und treibt uns an, auch in Zukunft in unserer Freizeit mit Interhelp in den Einsatz zu gehen“, sagt Konvoi-Leiter Roman von Alvensleben. Nicht nur die mit modernen Wiederbelebungs- und Beatmungsgeräten, EKG-Geräten, Spitzenpumpen und Notfallmedikamenten ausgestatteten Rettungsfahrzeuge haben die sechs Interhelper gen Osten transportiert. „Wir hatten neben gespendeten Stromaggregaten und Spezialnahrung für Schwerkranke auch vier wertvolle Beatmungsgeräte für eine Intensivstation und viele Hundert Atemschutzmasken und große Mengen Filter, die auch gegen Giftgas schützen, und vieles mehr an Bord unserer Fahrzeuge“, sagt Axel Schulz
Kriegsflüchtlinge in Sicherheit gebracht
Kurz nach Ausbruch des Angriffskrieges hatte die heimische Hilfsorganisation Interhelp damit begonnen, Spenden zu sammeln und Hilfsgütertransporte zu organisieren. Ehrenamtliche aus Hameln-Pyrmont und Schaumburg halfen in den frühen Tagen bei der Evakuierung, brachten Kriegsflüchtlinge in Sicherheit und behandelten im Grenzgebiet Kranke. „Wir sind dankbar, dass uns viele Geber und Gönner unterstützen. Ohne die Spender wären wir nur ein Motor ohne Treibstoff. Er würde nicht laufen“, sagt der Interhelp-Vorsitzende Ulrich Behmann. In seinen Augen seien alle Spender Helden, sagt Vorstandsmitglied Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe.
Andreas Diekmann war schon mehrere Male mit Interhelp im Einsatz.
Am Steuer eines Rettungswagens
Erstmals wurde er von seinem Sohn Nicolai Diekmann unterstützt. Yilmaz Savas hatte bislang die Hilfsgüter-Transporte im Erdbebengebiet an der türkisch-syrischen Grenze organisiert – nun saß er am Steuer eines Rettungswagens, fuhr er zur polnisch-ukrainischen Grenze. „Egal, wohin es geht. Ich bin gern dabei, um Leuten zu helfen, die es nicht so gut haben wie ich“, sagt er. Nach zwölfstündiger Fahrt ging es am Abend ans Entladen der Hilfsgüter-Transporter. Alle Interhelper packten mit an. „Teamwork wird bei uns großgeschrieben“, sagt Andreas Diekmann. „Im Hilfseinsatz gibt es keine Unternehmer, Rechtsanwälte, Promis oder Handwerksmeister – hier sind wir alle Arbeiter für den guten Zweck.“ In Irpin wartete schon der Bürgermeister Oleksandr Markuschyn auf die ukrainischen Interhelper.
Rettungsfahrzeuge sehnsüchtig erwartet
„Die Rettungsfahrzeuge wurden schon sehnsüchtig erwartet“, sagt Nadija Filimonova. „Wir wissen ihren Wert zu schätzen und sind unendlich dankbar für die Hilfe aus Deutschland.“ Irpin und Butscha – diese Namen stehen für Leid, Folter und Massaker. Die ukrainische Armee hat die Region befreit. Die Russen sind weg, aber der Krieg fordert auch in den befreiten Gebieten Opfer – bis heute. „Unter den Rückkehrern sind viele Menschen, die Schlaganfälle und Herzinfarkte erleiden“, sagt Nadija Filimonova. Der Stress, die Angst, die posttraumatischen Belastungen, der Tod von Verwandten und Freunden wirken nach.
Gerade ist man in Irpin dabei, einen Rettungsdienst aufzubauen. Zwei Interhelp-Rettungswagen gibt es schon, nun kommen zwei weitere dazu. In der Nachbargemeinde Nemishaeve warten die Menschen darauf, dass endlich ein von Interhelp kurz vor dem russischen Angriff gespendeter Intensivtransportwagen repariert werden kann.
Batterien ausgebaut und mitgenommen
Russische Besatzer, sagt Nadja, hätten den Mercedes in Borodyanka gestohlen, die Batterien ausgebaut und mitgenommen. „Zu diesem Zeitpunkt war dort die Hölle auf Erden“, sagt Nadija. Ukrainische Soldaten hätten das Rettungsfahrzeug bei der Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete in einem Waldstück entdeckt. „Das Ambulanzfahrzeug hat viele Einschusslöcher. Der Motor hat etwas abbekommen. Die Reparatur mit gebrauchten Teilen würde 7500 Euro kosten. Aber niemand hat das Geld dafür. Und so können seit Monaten Kranke und Verletzte mit diesem Wagen nicht mehr ins Krankenhaus transportiert werden.“ Wer in Nemishaeve dringend medizinische Hilfe benötigt, muss warten – auf einen Krankenwagen, der aus Vyshhorod, einer anderen Stadt, kommen muss. Das kann 40 bis 60 Minuten oder noch länger dauern.
Erzählung unter Tränen
Unter Tränen erzählt Nadija Filimonova von einem Freund, der nur 48 Jahre alt wurde. „Er war auf dem Friedhof, hat dort die Gräber seiner im Krieg getöteten Verwandten besucht, als er plötzlich zusammenbrach. Sein Sohn hat die Rettung angerufen. Aber nur ein alter Krankenwagen ohne medizinische Ausrüstung kam. Die Sanitäter hatten keinen Defibrillator dabei, sie konnten den klinisch Toten nicht mit Stromstößen wiederbeleben. Und so starb Yevgeniy im Krankenwagen – auf dem Weg zum Hospital.“ So wie ihm ergeht es vielen Menschen in der Ukraine.
Wer Interhelp mit Geldspenden unterstützen möchte – hier sind die Spendenkonten:
IBAN DE32 2545 0110 0000 0332 33 (Sparkasse Hameln-Weserbergland) IBAN DE49 2546 2160 0700 7000 00 (Volksbank Hameln-Stadthagen).Internet: www.interhelp.Info
SZ/LZ