HAMELN. Dort, wo Betonpfeiler eingespritzt werden sollten, die später das dort entstehende Büro- und Wohngebäude stützen müssen, kam zutage, was Menschen vor Hunderten von Jahren unternommen haben, um die Fundamentierung für Bauten auf diesem Grund zu schaffen.
Teils fast drei Meter lange Holzpfähle waren einst an dieser Stelle direkt neben der Münsterbrücke in den Boden getrieben worden. „Über 100 Pfähle haben wir gefunden“, erzählt Berthold, „mit 33 davon haben wir uns intensiv befasst“. Er schwärmt von dem Fund („Pfähle sind für Archäologen schön“) und weiß darum, dass sie für einen Bauherren ärgerlich sind und ein Hindernis sein können.
„Schön“ und „ein Glücksfall“ sind sie deshalb, weil ihr Alter teils sehr präzise bestimmt werden kann und oft sichere Rückschlüsse zulässt. Nachdem Berthold Skizzen von den Funden angefertigt – viereckig geschlagene, runde, kurze, längere, rechteckige mit Nut und andere mit Feder, zugespitzte – und sie kategorisiert hat, brachte er Holzscheiben nach Berlin ins Deutsche Archäologische Institut. Dort kann mithilfe der Dendrochronologie, der Jahresringforschung, und sogenannten Referenzkurven bestimmt werden, in welchen Jahrhunderten die Stämme am Werder verbaut wurden. Und sogar, wann sie gefällt wurden.
1329: Um dieses Jahr wurde der älteste Baum gefällt, der in diesem etwa 4 bis 25 Meter großen Teilstück zum Vorschein kam. Geht man davon aus, dass der Baum gleich nach dem Fällen eingesetzt und nicht erst zum Trocknen gelagert wurde, dann hat der zum Vierkant geschlagene und gespitzte Eichenstamm 690 Jahre an dieser Stelle gestanden. Jetzt lagert er zusammen mit den anderen Hölzern auf dem Betriebshof des Abrissunternehmens Otto.
Überwiegend waren es Eichen, die verwendet wurden, daneben sind es Buchen, die nach den Erkenntnissen der Archäologen hier ganze Spundwände gebildet haben. Die anderen datierten Holzpfähle stammen laut der Untersuchung aus den Jahren 1415, zwei aus dem Jahr 1510, sieben „um 1635“ und nochmals sieben aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Mit den Daten der naturwissenschaftlichen Analysen unterm Arm machte Joachim Schween sich im Hamelner Stadtarchiv auf die Suche nach Bauten, die zu diesen Zeiten an dieser Stelle gestanden haben könnten. Zusammengefügt ergaben die Puzzleteile aus alten Stichen, Fotos, Skizzen und Jahreszahlen das Ergebnis: „Die erheblich älteren Pfähle haben vermutlich mit Brücken zu tun“, sagt Schween. Für das Jahr 1329 findet er im Hamelner Urkundenbuch einen Eintrag, der sinngemäß so lautet: Wer jährlich Brückenholz liefert, muss kein Brückengeld zahlen.
Schween schließt daraus, dass zu dieser Zeit an dieser Stelle ein Pfeiler der Holzbrücke auf eben diesen Pfählen gestanden hat.
An den Brücken habe damals kontinuierlich gearbeitet werden müssen, um Schäden zu reparieren, die durch Hochwasser und Eisgang entstanden seien. Einen weiteren Hinweis, den Schween gefunden hat, führt zur „Langen Brücke“, die im Jahr 1552 erneuert werden musste. „Mit den Mühlen auf dem Werder geht es erst später los“, erzählt Schween. Die erste Getreidemühle sei an dieser Stelle um 1635 gebaut worden – was ebenfalls zu den gefundenen Pfählen passt. Und Mitte des 19. Jahrhunderts, um 1865 und 1887, entstand dort „eine der modernsten Mühlen Deutschlands“ – ebenfalls auf Eichenpfählen gegründet und mit Spundwänden aus Buchen.
Einige der Funde sollen im Foyer des künftigen Gebäudes ausgestellt werden, habe Christoph Kerstein dem Hamelner Denkmalpfleger Dirk Diekmann-Tirre gegenüber bereits signalisiert. Für die Aufbereitung und alle nötigen Informationen, die im Zusammenhang mit den Pfählen vermittelt werden können, stehen dann die Archäologen wieder zur Verfügung.