BÜCKEBURG. Jürgen Klauber ist seit einer Krankheit vor elf Jahren blind. Die Bilder des schrecklichen Krieges in der Ukraine kann er nicht sehen, ist manchmal froh darüber: Seine Gefühle zum Krieg hat er in einem beeindruckenden Gedicht beschrieben:
BÜCKEBURG. Die Bilder der vorm Krieg, Tod und Zerstörung fliehenden Menschen aus der Ukraine bewegen die Menschen seit Wochen. Bilder, die so schnell nicht aus dem Kopf gehen. Doch wie ist es, wenn man diesen Krieg nicht anhand von Bildern erfährt, sondern nur über das Radio von dem dortigen Grauen erfährt? Und was die vielen Bilder, Artikel und Radioberichte oft unbeleuchtet lassen: Wie fühlen sich körperlich eingeschränkte Menschen im Krieg, die nicht sehen können, was um sie herum geschieht und nicht einfach weglaufen können? Diesen Fragen und den Gefühlen dazu hat der Bückeburger Jürgen Klaubert in einem bewegenden Gedicht Raum verschafft.
Das Schreiben hilft, Gefühle auszudrücken
Denn Jürgen Klaubert ist selbst betroffen, seit ihm eine Krankheit vor rund elf Jahren einen Großteil des Augenlichtes nahm. Seit vier Jahren sitzt der 68-Jährige, der 2006 mit seiner Frau den Bio-Laden in der Langen Straße übernahm, zudem im Rollstuhl. „Früher bin ich immer sehr mobil gewesen, habe an vielen unterschiedlichen Orten wie Wilhelmshaven, Leer, Bielefeld und sogar Prag gelebt. Vor 16 Jahren verschlug es ihm gemeinsam mit seiner Ehefrau nach Bückeburg. „Ist da nicht ein bisschen klein hier“, war damals sein Gedanke. Doch beide fühlen sich wohl hier und betreiben bis heute den Bioladen, „nur kümmert sich meine Frau nun überwiegend darum“, sagt Klaubert. Als mit 56 Jahren die Krankheit begann, sein Augenlicht zu mindern, sei dies sehr schwer gewesen – nicht nur für ihn, sondern auch seine Mitmenschen. „Die anderen müssen mitziehen, für die ist es fast noch schlimmer als für mich. Das Schreiben hilft mir dabei, diese Gefühle auszudrücken und vielleicht helfen meine Gedichte damit auch anderen“, erklärt Klaubert.
„Auch an Putin wird das nicht spurlos vorbeigehen“
Das bewegende Gedicht hat er am 14. März, rund drei Wochen nach Ausbruch des Ukraine-Krieges geschrieben. „Ich schreibe viele Gedichte und drücke damit aus, was mich bewegt. Dabei sollen die Worte nicht runterziehen, sondern Mut machen zur Versöhnung und Frieden“, so der Bückeburger weiter. Bereits die Flutkatastrophe im vergangenen Jahr sei ihm sehr nah gegangen. „Damals war auch ein Behindertenheim betroffen, die armen Menschen sind alle ertrunken“, erinnert er sich.
Mit den Schreckensmeldungen aus Russland habe sich viel in seinem Gemüt in Bewegung gesetzt. Was er aus den Radiomeldungen nicht entnehmen konnte: Was passiert mit den Behinderten vor Ort? „Was wäre mit mir in dieser Situation? Stellen Sie sich vor, Sie sehen nichts, hören nur – wie schrecklich muss das sein? Ich würde zu meiner Familie sagen: Lass mich hier! Ich will euer Leben nicht gefährden“, so Jürgen Klauberts Überlegung. Doch er denkt noch weiter, an die andere Seite des Krieges: „Die Menschen, die den Krieg anfangen, und diejenigen, die dort kämpfen. Was die auf sich laden, ist grausam. Auch an Putin wird das nicht spurlos vorbeigehen, er wird seine Quittung bekommen“, ist sich Klaubert sicher, auch wenn er Vergeltung schrecklich und unangebracht finde. „Ich wünsche mir eine diplomatische und friedliche Lösung, ohne Blutvergießen – aber wirklich daran glauben, tue ich nicht. Der Friede beginnt in uns. Wenn jeder so leben würde, hätten wir keinen Krieg“, konstatiert Klaubert. „Ich schaue kein fern, lese keine Zeitung. Nur über das Radio höre ich über den Krieg. Und ehrlich gesagt bin ich in diesen Momenten froh darüber, dass ich diese schrecklichen Bilder nicht sehen muss.“
Das Gedicht
„Wenn der Krieg kommt“
von Jürgen Klaubert
„Komm liebe Frau
Geben wir uns
Einen letzten Kuss
Eine letzte Umarmung
Herz an Herz
Jetzt kommt der Krieg
Komm lieber Sohn
Geben wir uns
Einen letzten Kuss
Eine letzte Umarmung
Herz an Herz
Jetzt kommt der Krieg
Ihr müsst jetzt schnell los
Sonst droht euch der Tod
Lasst mich hier
Mit fast toten Augen
Mit fast toten Beinen im Rollstuhl
Zuhause zu sterben
Ist besser als
Vor verzweifelten Augen
Und weinenden Stimmen
Letztlich doch
Auf dem Feld oder der Straße
Zurückgelassen
Werden zu müssen
Rennt um eure Leben
Blickt nach vorn
Ihr werdet Glück haben
Denn ihr seid schnell und klug
Die Politiker
Die sogenannten
Haben sich verrechnet
Wie bei Hitler
Haben sie so lange gewartet
Bis es zu spät war
Nun muss ich sterben
Und hoffen
Auf neue Freiheit und auf Frieden
Lieber Sohn
Gehe nie in den Krieg
Kämpfe nie mit tödlichen Waffen
Kämpfe nie mit Hass
Kämpfe immer mit Liebe
Mit Verständnis
Mit Mitgefühl
Verwandle deine Wut in Mitgefühl
Verwandle Deinen Hass in Umarmung
Deine Trauer in Zuversicht
Liebe Frau
Du bist so stark
Deine Kraft
Deine Vision
Dein starker Wille
Wird euch retten
Bewahre deine Treue
Deinen Glauben
Deine Zuversicht
Deine Kraft
Deine Liebe
Für alle Lebewesen
Wie du es immer
Getan hast
Lasst nicht nach
In eurer Zuversicht
In eine Welt voller Frieden
Und Liebe
Ihr werdet es schaffen
Liebe Freundinnen und Freunde
Liebe Menschen
Die ich für Feinde hielt
Für schlechte Menschen
Die ich beleidigt belogen
Betrogen habe
Über die ich schlecht geredet habe
Die ich ausgenutzt habe
Zu meinem Vorteil
Die ich begehrt habe
Die ich verlassen habe
Denen ich nicht geholfen habe
Über die ich schlecht geredet habe
Über die ich geurteilt habe
Über die ich geschwiegen habe
Über die ich geschwätzt habe
Über die ich schlechte Gedanken hatte
Die Eltern
Die ich nicht geachtet habe
Der Bruder
Den ich bei all meiner Liebe zu ihm
immer wieder verlassen habe
Alle Freunde und Helfer
Denen ich nicht gedankt habe
Ich bitte euch alle um Verzeihung
Ich danke für eure Begleitung
Eure Hilfe und Unterstützung
Kein Mensch kann
Ohne andere Menschen leben
Wenn der Krieg kommt
Hilft nur Mitgefühl
Mitgefühl auch für alle
Die den anderen
Krieg bringen
Wer Krieg bringt
Wird durch seine Taten
Selbst unendliches Leid
Ertragen müssen
Wer Krieg bringt
Der trinkt das Gift seines
Eigenen Leidens
Für unendliche Zeiten
Wer Liebe und Mitgefühl gibt
Dem wird Liebe und Mitgefühl begegnen“
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