Mit einem Vortrag des Braunschweiger Germanisten Dr. Christian Wiebe fand die Herder-Vortragsreihe im Niedersächsischen Landesarchiv Bückeburg jetzt einen gelungenen Abschluss.
BÜCKEBURG.
Was heute E-Mails und Chatnachrichten sind, leistete im Jahrhundert der Aufklärung das Medium Brief. Das Private wurde formuliert und damit unsere heutige Vorstellung von Privatheit als Bereich und Praxis kommunikativen Austauschs überhaupt erst erfunden und gestaltet. Briefe wurden aber auch in geselliger Runde vorgetragen – nicht immer zur Freude ihrer Verfasser. Und Briefwechsel wurden ganz bewusst veröffentlicht, um die Aufmerksamkeit auf Personen und Fragen zu lenken und die öffentliche Diskussion in der Gelehrtenrepublik anzuregen, oder, wie im Fall von Friedrich Gottlieb Klopstock und seiner Verlobten Meta Moller, ein Empfindungsmodell bekannt zu machen und dem Lesepublikum nachfühlbar werden zu lassen.
Leitmotive herausgearbeitet
Auch Johann Gottfried Herder in seinen fünf Bückeburger Jahren war ein eifriger und kontinuierlich schreibender Briefkorrespondent, aber kein Autor wie Gleim und Lessing, die ein europäisches Briefnetzwerk in kulturpolitischer Weise pflegten. Dafür waren das Literaturmodell und brieflich zelebrierte Empfindungsmodell Klopstocks im Briefwechsel mit Caroline Flachsland, Herders Verlobter in Darmstadt, umso wirksamer. In seinem Vortrag zeigte Christian Wiebe eindrücklich, wie Herders Austausch mit Caroline sich bis zur Heirat der beiden 1773 entlang dreier Leitmotive verstehen lässt: Vorläufigkeit, Wahrheit und Glück.
Groß war die Unsicherheit Herders bei seinem Bückeburger Beginn, alles erschien ihm von Vorläufigkeit und Unvollständigkeit geprägt, unsicher war er aber auch, ob die Briefpartnerin die Kommunikation mit ihm fortsetzte. Ließ Post auf sich warten, insistierte Herder. Denn ihm waren die Briefe von Caroline „hier Manna in der Wüste“, wie er ihr am 10. August 1771 schrieb, „säumen Sie doch also nicht, es mir oft zuzusenden. Hätte ich Sie selbst, könnte ich auch nur bisweilen zu Ihnen hinüber, um Einen Blick, Eine Stunde von Ihnen zu haben; freilich denn würde ich keine Briefe fordern, u. keine Musen aus der Ferne nötig haben - aber jetzt?“
Glückliche Jahre
Briefe zu erhalten sind ihm Möglichkeiten, sich selbst zu finden und das in wahrhaftigerer Weise, als es die Aufrichtigkeit mit sich selbst zulässt, kennt doch jeder seine kleinen und größeren Lügen über sich selbst. Die Geliebte hingegen führt zu Wahrheit, sie wird vergöttlicht und die brieflich beschriebenen und wiedererweckten Erinnerungen an sie lassen dann ein Glück finden, das mehr ist als „Glanz, bloße Pracht“, wie Herder in einem weiteren Brief am 2. Oktober 1771 feststellt: „ists nicht beinahe so mit Allem Glück, liebste Freundin; es ist am schönsten im Anbruch, in der Morgenröte; aber ich glaube, wenn man will, kann man das ganze Leben, sich dazu machen.“ In diesem Sinne waren Herders Bückeburger Jahre dann doch auch insofern sehr glückliche Jahre, als sie so viele gute und für Leben und Werk Herders so wichtige „Anbrüche“ hervorbrachten.
Buchveröffentlichung geplant
Das Publikum dankte sehr für den Vortrag und die Reihe der Vorträge zu Herder in Bückeburg, die von Dr. Stefan Brüdermann vom Niedersächsischen Landesarchiv und von Prof. Dr. Lothar van Laak von der Universität Paderborn konzipiert worden sind. Im kommenden Frühjahr sollen sie im Wallstein Verlag Göttingen veröffentlicht werden. r