Normalerweise begann das Trachtenleben eines Kindes mit der Taufe. Das Baby erhielt ein prachtvolles „Taufbrüstchen“ aus rotem Stoff, besetzt mit Goldperlen und Spiegeln, die den „bösen Blick“ fernhielten. Dieses wertvolle Oberteil lieh man sich oft von der Hebamme aus, die sich so ein kleines Zubrot verdiente.
Für jeden gesellschaftlichen Anlass gab es ganz bestimmte „Anzüge“, so beispielsweise den „Abendmahlsanzug“, eine besonders festliche Tracht, die die Mädchen zum ersten Mal bei ihrer Konfirmation trugen. In dieser Tracht – zusätzlich geschmückt – heiratete man auch, und in ihr wurde man schließlich beerdigt. „Das muss so sein, denn der Abendmahlsanzug hat im Leben den meisten Segen abbekommen“, so hatte das Sophie Menschings Mutter erklärt. Einmal habe die Mutter ihre Abendmahlstracht einer Frau ausgeliehen, die einen Abend lang darin tanzte. „Diese Tracht hat meine Mutter nie wieder angezogen. Man darf nur einmal darin tanzen, auf der eigenen Hochzeit und nur mit dem eigenen Mann.“
Die aufwendig bestickten, perlenbesetzten Festtagstrachten samt Schürze, Halstuch und Haube waren so kostspielig, dass sie ein Leben lang halten mussten. Mit allerlei handwerklichen Kunstgriffen konnte man sie enger oder weiter machen, je nachdem. „Ja, heute investieren die Männer in einen Mercedes“, so Mensching. „Damals investierten sie in die Trachten ihrer Frauen.“ Sämtliche Frauen eines Haushaltes strickten außerdem fast ununterbrochen Strümpfe, 50 Paar, fein bestickt, gehörten zu jeder Ausstattung.
Waschen konnte man die Trachten nicht, das hätte Seidenstickerei und aufgenähten Schmuck zerstört. Die Kleiderschränke aber wurden mit Essigwasser gereinigt und man legte Rosmarin hinein, für guten Duft und zur Vertreibung von Motten. Später, als es Mottenkugeln gab, war es der „Duft“ vom strengen Naphthalin, der von den alten Frauen ausging. Dass viele von ihnen nicht mehr den typischen roten Rock trugen, sondern in Schwarz gekleidet waren, lag daran, dass in ihrer Umgebung viel gestorben wurde und sie dann den strengen Trauervorschriften folgten, mit einer Trauerzeit von drei langen Jahren. Wer vorzeitig wieder farbenfreudige Kleidung anlegte, über den wurde abfällig gemunkelt.
Mit dem Untergang der Tradition des Trachtentragens, gingen auf den Dörfern auch Arbeitsplätze für Stoffhändler, Näherinnen, Stickerinnen verloren. Sophie Mensching selbst trug keine Tracht, weil ihre Mutter nicht wollte, dass sie am Nazi-Erntefest auf dem Bückeberg teilnehmen musste. Dazu waren nämlich alle Trachtenträgerinnen verpflichtet, ob sie wollten oder nicht. Als Trachtenbotschafterin schlüpft sie trotzdem immer wieder in eines dieser prächtigen Gewänder. Gerade setzt sie für die Besucher des „Erzählcafés“ einen hohen Hochzeitskranz auf. Das dürfen eigentlich nur Jungfrauen. „In den Augen meiner Mutter hätte ich jetzt den Hochzeitskranz für immer entweiht.“