Schaumburg.
Auf einem alternativen Zauberbergfest fällt Jörg Stahlhut auf wie ein Frosch auf einer Sahnetorte. Der 55-jährige Diplom-Elektroingenieur kann sich im "Garten der geliebten Steine" sein Zielpublikum auch am Daumen der rechten Hand abzählen, denn der Mindener baut High-End-Röhrenverstärker. Einstiegspreis: 5000 Euro, sechs bis achtWochen Wartezeit nach Vorbestellung. Dennoch hat er das Gefühl, hier genau richtig zu sein: "Ich setze auch auf Natürliches", erklärt Stahlhut, der sich nach 20 Jahren Pause vor sechs Jahren wieder dem Bau von Verstärkern widmete. Das Ziel: Ausschließlich unter klangtechnischen Aspekten solltegebaut werden. Und so findet sich in seinen Kondensatoren auch kein Kunststoff, sondern Silberfolie und ölgetränktes Papier. Der Effekt: Die Musik wird lebendiger, eben natürlicher, weil das Signal feiner aufgelöst wird. Und zum Wickeln nimmt er kein Kupfer, wie bei herkömmlichen Verstärkern,sondern echtes Silber: "Nach 100 Metern Draht hört man den Unterschied", erklärt Stahlhut, der nach alten Schaltungskonzepten seine Röhrenverstärker baut, die dann lediglich neue Bauteile erhalten - "lebendige und natürliche", erklärt er. Und vielleicht hat das Zauberberg-Publikum nicht die nötigen finanziellen Mittel für seine highendigen Verstärker, aber es hat Geschmack: Die von Stahlhut mitgebrachte und aufgebaute Anlage läuft die ganze Nacht.
Buchführung, Finanzen, Produktion, Planung: Regina Klapprodt macht alles in Eigenregie. Sie fertigt Glaskunst und Lichtobjekte, durchaus im gehobenen Preismilieu. Mit ihnen zieht sie von Markt zu Markt, wenn sie nicht gerade im "Lebensgarten", einem alternativen Wohnprojekt, in ihrer kleinen Werkstatt produziert. "Man kann sich gut ausprobieren", sagt die 39-jährige gebürtige Mindenerin, die mit Tochter Melina unterwegs ist.
Die Märkte kann sie sich mehr oder weniger aussuchen, es muss nicht immer der sein, bei dem am Ende am meisten in der Kasse übrig bleibt, es darf auch mal derjenige sein, der die besondere Atmosphäre hat: "So wie hier", sagt sie und umfasst mit einer Handbewegung den "Garten der geliebten Steine". Und: "So schlecht ist der Umsatz gar nicht." In die Kategorie der härteren Arbeit gehört der Weihnachtsmarkt in Minden: Vier Wochen am Stück, Tag für Tag, "aber hier kann ich Rücklagen bilden". Doch hochklassige Handwerkskunst findet auch an diesem Wochenende unterhalb der Paschenburg durchaus seine Käufer; Klapp-rodt ist nicht unzufrieden und genießt das Leben, das sie führt. Im nächsten Jahr wird es sich deutlich ändern: Dann kommt Tochter Melina in die Schule.
Eine bürgerlichen Beruf hat Ingo Heuer erlernt: Werkzeugmacher. Bis ihn das Reisefieber gepackt hat. Zunächst nur sporadisch, dann immer wieder, dann fast nur noch. Gerade hat er Spanien durchwandert, über die Pyrenäen, gerne barfuß: "Gefühlsmäßig lebe ich das richtige Leben", sagt er. Es fühlt sich gut an, sein Überlebens-Geld verdient er als Straßenmusiker. Und sieht dies als Ausbildung an: "Als Straßenmusiker wird man zum Menschenfreund. Denn wenn die Leute, für die du spielst, nicht spüren, dass du sie magst, dann hast du nichts im Hut", erklärt der 43-Jährige, der seit dem 1. Mai vorwiegend an den Externsteinen zeltet, spielt und lebt.
"Man muss seinen Lebensweg begehen", untermauert er sein Unterwegssein mit einer philosophischen Basis: "Zeit ist der größte Luxus, den ein Mensch sich heute schenken kann. Und viel Zeit, die habe ich."
Gunther Maria Nagel widerspricht ihm nicht. Zu der Kuh, die man ein bisschen melken möchte, sollte man stets freundlich sein: "Niemals spielen, wenn man pleite ist."
Der 39-Jährige stammt aus Namibia und zog mit fünf Jahren in die Nähe von Berlin. Nach dem Abitur wollte er in Göttingen studieren, Musikwissenschaft und Philosophie, einen Schein hat er gemacht, dann hat er die Uni 1990 abgebrochen: "Bücher lesen kann ich auch im Bett." Da hat er schon ein gutes Jahrals Straßenmusikant gelebt, schließlich hat er seit seinem zehnten Lebensjahr klassische Gitarre und Komposition gelernt. Seit 1996 hat er verschiedene CDs, darunter drei mit klassischer Gitarre und vier mit taoistisch entstandenen Kompositionen für verschiedene Instrumente mit elektronischen Effekten und modernen Rhythmen, aufgenommen. Was ihn von vielen Straßenmusikern unterscheidet, zeigt er im "Garten der geliebten Steine": Er spielt richtig gut auf der Konzertgitarre, verbindet in seinem Solospiel den Swing aus Bachs Tanzsuiten mit Bossa Nova und Walzer von Satie bis Lauro, bis sich sein Spiel in langsamen Sätzen von Mozart und Beethoven romantisch staut, zwischen Mendelssohn und Vollenweider wieder verflüssigt und schließlich in balkanesischen Trancen kristallisiert. Er schöpft aus einem großen Repertoire von klassischen Originalstücken, Eigenbearbeitungen klassischer und romantischer Orchester- und Klaviermusik, Jazz, Tango, Weltmusik und eigenen Stücken. Im August ist er noch in Zitanien zu hören, danach geht es nach Namibia: Papa besuchen.
Viele der Musiker und Aussteller, die am Wochenende im Garten waren, leben ihren eigenen Traum. Auch das macht die besondere Atmosphäre unterhalb der Paschenburg aus. Diverse hundert Besucher haben sich am Wochenende zumindest für ein paar Stunden anstecken lassen. Es muss ja nicht gleich fürs ganze Leben sein.