Rinteln.
Anno 1850, sechs Jahre vor seinem tragischen Tod, schuf Robert Schumann in nur wenigen Wochen seine Sinfonie Nr. 3 in Es-Dur, die von seinen Zeitgenossen "Die Rheinische" genannt wurde - wohl nicht nur wegen der Lebensfreude, die darin im Kontrast zu Schumanns anhaltender Schwermut zum Ausdruck kam, sondern auch wegen der Faszination, die für den Komponisten von den Bauarbeiten am Kölner Dom ausging, dessen Vervollkommnung er mit Enthusiasmus verfolgte.
Dass Wolfgang Westphal für den Kulturring dieses Werk in den Mittelpunkt des diesjährigen Rintelner Neujahrskonzerts mit den Göttinger Symphonikern gestellt hat, ist sicher nicht nur seiner ambitionierten Absicht zu verdanken, dieses Konzert nicht nur aus Walzerseligkeit, Tritsch-tratsch-Polka und anderen Schmankerln zusammenzustellen, sondern auch als Reverenz an einen Komponisten aufzufassen, der im Taumel des beginnenden Mozart-Jahrs vielleicht allzu sehr an den Rand des Musikbetriebes gedrängt werden könnte.
Immerhin löste die "Rheinische" bereits im lebhaften ersten Satz erhebliche Wiedererkennungseffekte aus - ist doch dessen durchgängiges Motiv als Erkennungsmelodie im regionalen Fernsehmagazin des WDR zu hören.
Im zweiten Satz vernahmen wohl nicht wenige im Saal leise Anklänge an "Peter und der Wolf" von Prokofjew, der damit sicher nicht aus der schlechtesten Quelle der Inspiration genippt hat. Schumann selber hat sich darin eines fast schon naiven Ländler-Themas angenommen, das vor allem von den Cellisten intensiv herausgespielt wird.
Die Getragenheit des dritten Satzes schuf im Publikum eine Atmosphäre gespannter Aufmerksamkeit. Präzise umgingen im vierten Satz namentlich die Blechinstrumentalisten die Gefahr, bei den triumphalen, mitunter schon mystisch wirkenden Trompeten- und Posaunenstößen das Erhabene in einem lärmigen Klangbrei zu versenken.
Im fünften und letzten Satz erfreut das fast schon karnevaleske Pathos, das so ganz und gar im Schatten des Kölner Doms zu Hause ist - ein vor allem in den Marschrhythmen gekonnt parodistisches Spiel mit der Ernsthaftigkeit, dem sich Streicher, und Bläser gleichermaßen hingaben.
War der symphonisch geprägte erste Teil des Programms von reflektierter Emotionalität und einer zumindest anfänglich überwiegend verhaltenen Orchesterführung bestimmt, so kamen nach der Pause alle die weitgehend auf ihre Kosten, die sich ein musikalisches Feuerwerk erhofft hatten.
In der schwungvollen Ouvertüre zur Operette "Die Fledermaus" von Johann Strauß wurde so recht deutlich, warum man solche Melodien nicht mit dem erhabenen Prädikat "unvergänglich" belegt als vielmehr mit dem Begriff "unverwüstlich": Die Freude daran sprang dabei unüberhörbar auf die Musiker über, die von Westphal temperamentvoll angetrieben wurden.
Zur musikalischen Meditation mit geschlossenen Augen lud der Dirigent ausdrücklich bei der Polka "Die Libelle" von Josef Strauß ein und in der Tat: Plötzlich schwirrten die zartflügligen Insekten in wilden Schwärmen durch den Saal und bei den anschließenden "Dynamiden" wurden die "geheimen Anziehungskräfte" dieses Walzers im Untertitel von Strauß Vater im Publikum, auf dem Pult und im Orchester gleichermaßen wirksam. Vor allem zahlreichen Zuhörerinnen zauberten diese Klänge ein dahinschmelzendes Mona-Lisa-Lächeln ins Gesicht.
Als etwas blechlastig-dahinscheppernde Spaßbremse erwies sich allerdings der Tanzwalzer von Ferruccio Busoni in der Akzeptanz der Zuhörerschaft, doch zum Glück wurde dieses ursprünglich als Schlussnummer angekündigte Stück kurzerhand mit dem effektvollen "Säbeltanz" von Aram Chatschaturjan ausgetauscht, so dass das Orchester noch einmal in finaler Hochform glänzen konnte.
Obligatorisch und natürlich freudig umjubelt die Zugaben von der "Schönen blauen Donau" bis zum "Radetzky-Marsch", bei dem sich auch das begeistert mitklatschende Publikum willig unter die Stabführung von Westphal stellte - einmal mehr fröhlicher Abschluss eines traditionsreichen Konzerts, das (mit hoffentlich weiterhin freundlicher und großzügiger Unterstützung durch die Volksbank) auch im nächsten Jahr wieder seine würdige Nachfolge finden dürfte. Schade nur, dass auch dann nicht alle Kartenwünsche gedeckt werden können: Die Nachfrage ist stets größer als das Platzangebot!