Haste/Hagenburg (tes).
Jörg und Angelika Henßen sagen "Good Bye Schaumburg - Kanada, wir kommen:". Der 38-jährige Elektromeister hat die Nase voll von Deutschland: "Hier stimmen die Relationen einfach nicht mehr." Versucht habe er viel: Zuletzt drei Jobs gleichzeitig. Dennoch sei kaum Geld übrig geblieben. "Ich bin flexibel ohne Ende, aber es lohnt sich einfach nicht", sagt er. Der Abschied fällt ihm leicht. "In Kanada werden deutsche Facharbeiter in Gold aufgewogen." Nach zwei Jahren Vorbereitung macht das Ehepaar jetzt Nägel mit Köpfen: Haus, Auto und Motorrad sind verkauft, die Elektrogeräte verschenkt und der Container ist unterwegs nach Montreal.
Stolz hält der Elektrotechniker seine Arbeitserlaubnis in den Händen, die heiß ersehnte "work permit", der Fahrschein in ein neues Leben. Diesen zu bekommen war nicht einfach. Anders als in europäischen Nachbarländern sind die Einwanderungshürden in Kanada hoch. "Die Bürokratie ist noch schlimmer als in Deutschland", berichtet der Auswanderer schmunzelnd.
Henßen hatte Hilfe bei der Vermittlungsagentur "did" in Haste gesucht. Diese lockte mit dem Traumziel Alberta, wo die Wirtschaft, wie es heißt, boomt und Arbeitslosigkeit weitestgehend unbekannt ist. Letztlich entschieden sich die Henßens für eine andere Region. Der Arbeitgeber, "Maple Leaf Fresh Foods" in Brandon (Manitoba), bezahlt nicht nur den Flug, sondern auch die erste Miete und ist bei der Suche nach einer Bleibe behilflich. Geschäftsführer Paul Mizzi war beeindruckt, wie ernst es dem "german" ist.
Nach einem Besuch der Botschaft in Berlin war die Sache perfekt. "Jetzt oder nie", sagt Henßen, der mit dem nächsten Flug durchstarten will, um "zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein". Gleichgesinnte kennt der 38-Jährige viele: "Montags ist die ganze A
2 voll mit Grenzgängern Richtung Niederlande. Und aus meiner Nachbarschaft ist neulich erst einer nach Paraguay ausgewandert - um Rinderzüchter zu werden."
In Kanada sind deutsche Handwerker sehr willkommen. "Es herrscht Goldgräberstimmung, Arbeitgeber zahlen sogar Kopfgeld. Allerdings muss man bereit sein, klein anzufangen. Vorerst als Hilfsarbeiter eingestuft bekomme ich knapp 25 kanadische Dollar Stundenlohn (gut 17 Euro) als Anfangsgehalt. Aber die Lebenshaltungskosten sind günstiger als in Deutschland", verweist Henßen zudem auf die geringen Steuerabzüge von 14 Prozent.
In einem halben Jahr wartet die nächste Hürde zur dauerhaften Aufenthaltserlaubnis: Anders als etwa im Zimmererhandwerk muss der Elektroniker seinen Berufsabschluss wiederholen - zu kanadischen Bedingungen und auf Englisch. "Sonst steht nach 181 Tagen der Heimflug an", bestätigte "did"-Personalvermittler Winfried Lange auf Anfrage. Die Sprache ist kein Problem für Henßen: Der langjährige Grenzgänger arbeitete zuletzt in Rotterdam.
An den Aufschwung in Deutschland glaubt er nicht: "Ein-Euro-Jobs und Zeitarbeit für sieben Euro die Stunde helfen der Statistik, reichen aber nicht zum Leben." Ganz anders die Zeitarbeitsfirmen im benachbarten Ausland: Hier werde Tariflohn gezahlt plus Anfahrt und Unterkunft. Einziger Nachteil: Durch die Fernbeziehung kommt das Familienleben zu kurz. Das soll sich in Kanada ändern. Zuvor steht allerdings die nächste Trennung an: Jörg Henßen fliegt alleine vor. Ehefrau Angelika sitzt weiter auf gepackten Koffern. Die 51-Jährige kommt mit den beiden Dackeln "Miss Marple" und "Blasius vom Räuberberg" in einigen Wochen nach. Bis dahin heißt es für die Beamtin, die sich vorerst für ein Jahr hat beurlauben lassen: Leben aus dem Koffer in einer Übergangswohnung. Derweil will Ehemann Jörg in der neuen Heimat alles regeln: ein Auto kaufen, ein Bankkonto einrichten und ein Haus mieten. "Vor den ersten Wochen hab ich schon etwas Horror", gesteht der Auswanderer. Aber: "Wir sind beide Realisten und keine Abenteurer", betont der Elektotechniker den Unterschied zu den naiv wirkenden Auswanderen in diversen Fernsehreportagen: "Ohne Geld, Sprachkenntnisse und ohne Jobzusage auszuwandern, das ist schon abenteuerlich."