Rinteln (cok).
Es warenüberwiegend Frauen, die sich am Sonntagnachmittag zu Oscar Wilde, seiner todesmutigen Nachtigall und dem "glücklichen Prinzen" in den Prinzenhof hingezogen fühlten. Vor einem mehr als ausverkauften Haus las die Berliner Schauspielerin Cornelia Flöge zwei der schönsten Wilde-Märchen vor, die die Musikerin Maria Todtenhaupt mit Harfenmusik begleitete.
Und wer vielleicht schon wieder vergessen hatte, wie schrecklich traurig der "glückliche Prinz" ja ist oder dass die kleine Nachtigall ihr Leben gibt für eine lächerliche Liebe, der konnte beinah zu Tränen gerührt sein von Cornelia Flöges einfühlsamer Lesart, bei der die Sentimentalität der Geschichten voll zum Ausdruck kam, obwohl die Schauspielerin auch deren poetische, oft wirklich zum Lachen sprachwitzige Ironie wunderbar aufleuchten ließ.
Der Schwalbenjüngling liebt eine Schilfrohrdame wegen ihrer schlanken Figur und verpasst mit seiner vergeblichen Werbung (das Schilfrohr flirtet lieber mit dem Wind) den Rückflug nach Ägypten. So übernachtet der Vogel unter der Statue des glücklichen Prinzen und der Prinz, er weint. So hoch, wie er über der Stadt steht, sieht er die unglücklichen Menschen, denen er nicht helfen kann. Er überredet die Schwalbe, sein Bote zu werden. Und der erst so kecke Vogel bringt dem kranken Kind einen Rubin aus des Prinzen Gürtel, er verschenkt, weil der Prinz es so will, dessen beide Augensaphire und den ganzen Schmuck der Statue. Der Winter hat längst Einzug gehalten, viel zu spät ist es geworden für den Flug ins warme Ägypten und als die "Schwalbe, meine liebe Schwalbe" erfroren zu Füßen der Statue sinkt, bricht das bleierne Herz des Prinzen vor Kummer entzwei.
Mit zarter Intensität untermalte Maria Todtenhaupt die Lesung durch ihr virtuoses Harfenspiel, keltische Folklore, die allerbestens harmonierte mit der eigenartigen Melancholie des Märchens, bis hin zum Ende, wo das Instrument zu weinen schien über Prinzenstatue und Schwalbe, die auf dem Müll landen.
Gott, so sagt es das Märchen noch schnell, hat das Opfer von Prinz und Vogel gewürdigt, beide erhalten einen Platz im Paradies. Vielleicht aber entspringt dieser versöhnliche Nachtrag wieder nur der ironischen Weltsicht Oscar Wildes.
Das Märchen "Die Nachtigall und die Rose", das mit einem dramatischen Harfenstück des expressionistischen Komponisten Marcel Tournier (1879-1951) eingeführt wurde, will von solch kindlicher Versöhnung jedenfalls nichts wissen: Eine Nachtigall gibt ihr Herzblut, weil sie so bewegt ist von der großenLiebe eines Studenten zu seinem Mädchen. "Und was bedeutet schon das Herz eines Vogels gegen ein Menschenherz?" Damit die Rose, die der Student für das Liebesglück braucht, wachsen kann, singt sie mit einem Rosendorn im Herzen und stirbt. Der Student aber wirft die Rose in die Gosse, weil sie ihm doch nichts nützt: "Was für ein dummes Ding ist doch die Liebe...", heißt es im Märchen. Bedeutet das auch, es sei sinnlos, romantische Opfer zu bringen?
Eine direkte Antwort auf solche Fragen ist bei Oscar Wilde nicht zu haben. Sicher aber ist, dass er, nicht viel anders als sein Märchenerfinder-Kollege Hans-Christian Andersen, die Ironie und den Sprachwitz einsetzt wie einen Schutzschild, der es erlaubt, sich dem Grundschrecken der Welt mit einem Lächeln zu stellen. "Wundersamer als alles ist das Leid der Menschen..." sagt der "glückliche Prinz". Er sagt nicht "grausamer". Er sagt "wundersam"!