Rannenberg (maro).
Mit einem denkwürdigen Gottesdienst hat Pastor Mathias Mau die Rannenberger am Sonntag überrascht, als er wieder einmal statt der üblichen Gottesdienste in Deckbergen und Segelhorst die Gemeinde in die Friedhofskapelle eingeladen hatte. Musikalisch begleitet wurde der Gottesdienst von der Caspaul-Orgel, der Lars Röwer aus Borstel die volle Klangfülle entlockte. Bereichert wurde der musikalische Teil des Morgens von Galina Kaplun aus Rinteln, die klassische Orgelklänge mit einem seltenen russischen Saiteninstrument ergänzte: Sie stellt eine dreisaitige Domra vor, die noch im 17. Jahrhundert von der russischen Kirche als "Teufelszeug" verbannt und bergeweise verbrannt wurde.
Galina Kaplun, die inzwischen seit zehn Jahren in Rinteln lebt und an der Wolga aufgewachsen ist, war nach ihrem Musikstudium in Russlandüber 30 Jahre als Domra-Lehrerin tätig gewesen und hatte dort die Klangvielfalt von Balalaika-Orchestern ergänzt. Sie nutzte in Rannenberg eine kurze Gottesdienstpause, um den zahlreichen Kapellenbesuchern die ungewöhnliche Geschichte dieses seltenen Instruments näher zu bringen.
Ursprünglich war das bauchige Instrument, das fast wie eine Mandoline aussieht, ein eher primitives Instrument der russischen Volksmusik - teils aus einfachem Holz gebastelt oder aus Kürbissen geschnitzt. Mit der Domra zogen die so genannten Stomorochen durch die Weiten Russlands. Das waren eine Art russischer Troubadoure, die sich mit ihren Spottgesängen nicht nur über den Zaren und die Obrigkeit lustig machten - sie scheuten sich auch nicht, die Kirche mit Hohn und Spott zu bedenken.
Die fatale Folge: Die Kirche erklärte die Domra zu "Teufelswerk", das im ganzen Land eingesammelt wurde, um schließlich in Moskau verbrannt zu werden. Die Musikanten wurden nach Sibirien verbannt, und die Domra geriet vollständig in Vergessenheit. Stattdessen erlebte das Balalaika-Spiel einen ungeahnten Aufschwung, bis Ende des19. Jahrhunderts ein berühmter Balalaikalehrer zufällig auf einem Dachboden eine alte Domra entdeckte. Wassilij Andrejew war es, der schließlich Gitarrenbauer ausfindig machte, die das vergessene Instrument nachbauten und zu seinem heutigen Standard weiterentwickelten.
Mit ihrem virtuosen Plektronanschlag beherrscht Galina Kaplun die Domra perfekt und ergänzte mit dem weichen Saitenklang das Orgelspiel von Lars Röwer, der es als junger Schüler von Kreiskantor Wolfgang Westphal inzwischen zu beachtlicher Perfektion gebracht hat. Routiniert übernahm er den liturgischen Teil des Gottesdienstes, begleitete die Gemeinde bei ihren Kirchenlieder und überraschte abschließend mit dem Stück "Intrade in Jazz". Jawohl, das gibt's: Jazz in der Friedhofskapelle. Und wäre es nicht ein Gottesdienst gewesen, hätten sich die Rannenberger bei Lars Röwer mit lebhaftem Applaus bedankt und eine Zugabe angefordert.