Erst kürzlich marschierte Daniel Stock mit Bruder Robert am Ende der Schafherde und seinem Vater Reinhard als Schlusslicht im Pickup von Heßlingen über Fuhlen und die Weserbrücke zu den Weserwiesen. Autos müssen warten, als die 800 Schafe über die Brücke traben. Schnell laufen sie, aber natürlich dauert es, bis alle auf der anderen Seite sind. Viele Autofahrer zücken ihre Handys und fotografieren das Spektakel. „So was hab ich ja noch nie gesehen!“, ruft ein Lastwagenfahrer aus dem Fenster. Daniel Stock hat etwas vom Rattenfänger, als er von der L 434 zur Weser abbiegt. Er ist nicht so bunt gekleidet wie die berühmte Hamelner Sagengestalt, aber schon anders als andere – mit Lederhose, Filzhut und dem langen Stock in der Hand, mit dem er die Schafherde zurückhält. Dicht gedrängt folgen ihm die Vierbeiner in Richtung Wasser. Aber sie werden nicht in die Weser geführt, sondern fangen sofort an, die Wiesen abzugrasen. Um sie herum wird ein elektrischer Zaun aufgestellt, damit kein Tier verloren geht. Sie rasten dort, ohne dass ihr Besitzer rund um die Uhr bei ihnen bleiben muss; zum Schlafen ist er immer zu Hause.
„Schon als Kind wollte Daniel Schäfer werden“, verrät seine Mutter Anneliese. Mit einem Schaf, das dem Sechsjährigen eine Tante schenkte, fing alles an. Ganz allein kümmerte er sich um das Tier, dessen Fell seit vielen Jahren den Rücken all derer, die bei seinen Eltern im Schaukelstuhl sitzen, wärmt. Dieses Schaf bekam Drillinge... Schnell hatte der Junge eine kleine Herde von bis zu 20 Tieren zusammen, die er zuverlässig versorgte. Während seiner Berufsschulzeit machte er ein Praktikum in Springe bei einem Schäfer. „Da wusste ich, das ist mein Beruf“, erzählt Stock, der damit eine mehr als 10000 Jahre alte Tradition bewahrt, für die man sich heute zum Tierwirt ausbilden lässt. Dem Heßlinger gefällt, dass er den ganzen Tag draußen und unabhängig ist. Mit einer Schafherde im Stall und einer auf der Wiese begann er seine Schafzucht. Getreide, Trockenschnitzel, Heu, Wasser und Einstreu musste er bereitstellen und mit den Freilandtieren von einer Weide zur nächsten ziehen. Dort wurden sie eingezäunt, bis alles abgefressen war. Vor der nächsten Wanderung pferchte er die Tiere in Netze ein, bis alle Vorkehrungen getroffen waren.
So sieht das auch heute noch aus, nur dass sich die Menge der Schafe stark vergrößert hat. Der 30-Jährige sucht geeignetes Weideland - „Kleegras mögen sie am liebsten“ – und setzt sich mit den Landbesitzern in Kontakt, bevor er auf Wanderschaft geht. Zwei Hektar Weide grast die Herde am Tag ab. Stock kennt seine Tiere, bemerkt, wenn bei einem Schaf etwas nicht stimmt, etwa Probleme an den Zähnen auftauchen. Er pflegt ihre Klauen, versorgt Wunden und ist ein versierter Geburtshelfer. Auf einer Extra-Weide hat er zehn Böcke stehen, die nur Anfang Dezember und Anfang August zur Herde gelassen werden. Im Januar und im Mai lammen dann die Schafe – „Die härteste Zeit im Jahr“, so Stock. Seine Mutter ergänzt: „Bringt ein Schaf Drillinge zur Welt, füttere ich mindestens ein Lamm viermal am Tag mit der Flasche und ziehe es groß.“ In Erinnerung an den Winter 2009 sagt sie: „Füttern Sie mal 25 Kinder mit der Pulle...!“ 600 bis 700 Lämmer hat Stock jedes Frühjahr, zur Nachzucht werden etwa 100 Stück benötigt, der Rest wird verkauft, sobald die Tiere ein Gewicht von 40 bis 50 Kilogramm haben. Damit kommt Geld in die Kasse, schließlich kann er mit der Schurwolle, die in riesige Säcke gepackt an den Wollgroßhandel verkauft wird, gerade mal das Scheren finanzieren. Haben die Schafe fünf- bis sechsmal gelammt, kommen sie zum Schlachter, dort herrscht zumindest zu Ostern und zum Schlachtefest im Herbst Hochkonjunktur.
Seit über zehn Jahren ist Daniel Stock jetzt „richtig im Geschäft“ – „wahrlich kein lukratives, wie er anmerkt. Es sei ein hartes Brot, bei dem man viel Herzblut investieren müsse, erklärt er. Dennoch ist er sich sicher: „Ich bleibe dabei, das ist mein Ding.“