Bückeburg (bus).
"Was
haben Universum und Naturgesetze mit mir zu tun? - Zur Struktur des menschlichen Wissens" ist am Donnerstag das Thema des ersten "Carl Friedrich von Weizsäcker-Gesprächs" dieses Jahres auf Schloss Bückeburg gewesen. Gastreferent der nach dem Physiker und Philosophen benannten Gesellschaft war Professor Dr. Harald Lesch. Der Referent verdeutlichte vor Beginn der Zusammenkunft, dass er die vorgegebene Fragestellung um etliche Aspekte zu erweitern gedenke. "Wie wissen wir was?" und "Was wissen wir wie?" sei ebenfalls zu hinterfragen.
Die korrekte Berichterstattungüber die Weizsäcker-Gespräche ist ein schwieriges Unterfangen. Da die Konversationen, an denen für gewöhnlich etwa 30 geladene Gäste teilnehmen, hinter verschlossenen Türen geführt werden, ist deren tatsächlicher Verlauf nicht einmal zu erahnen. Dass deren vermutlicher Inhalt dennoch öffentlich wird, ist den von der Gesellschaft ermöglichten Vorgesprächen zu verdanken, in denen die Referenten bedeuten, in welche Regionen sie die Gedanken der Besucher zu leiten beabsichtigen. Lesch umriss das Areal ziemlich unzweideutig. "Es reicht vom Urknall bis zum Gehirn", sagte der Physiker, Philosoph, Astronom, Autor und Fernsehmoderator.
Lesch ist seit 1995 Professor für theoretische Astrophysik am Institut für Astronomie und Astrophysik an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Zudem unterrichtet der Protestant Naturphilosophie an der (jesuitischen) Münchener Hochschule für Philosophie. "Sozusagen als Quotenketzer", erwog er diese Facette seines Schaffens augenzwinkernd. Außer durch zahlreiche Buchveröffentlichungen ("Kosmologie für Fußgänger", "Big Bang, zweiter Akt", "Physik für die Westentasche") erregte der 45-Jährige vor allen Dingen durch eigene Sendungen im Bildungskanal des Bayerischen Fernsehens Aufsehen, in denen er dem Massenpublikum komplexe physikalische Sachverhalte in verständlicher und amüsanter Art nahe bringt. "Ich glaube, mein Vortragsstil ist ziemlich verhüscht", sagt er in Anspielung auf den Kabarettisten Hans Dieter Hüsch. "Ich wäre vielleicht auch ein ganz ordentlicher Märchenerzähler auf dem Basar geworden", hat er einmal einem Reporter gestanden.
In Bückeburg griff der Professor unter anderem die derzeit zu beobachtende Flut wissenschaftlicher Publikationen auf. Die Veröffentlichungspraxis werde immer dubioser, erläuterte er. "Das Beispiel des südkoreanischen Klonforschers Woo Suk Hwang sollte uns sehr, sehr nachdenklich machen." Lesch führte als weiteres Beispiel drei in einer Fachzeitschrift publizierte Artikel zur Thematik der Quantengravitation an. "Das war völliger Nonsens, aber kein Referee wollte sich als Unwissender bloßstellen." Dabei sei das schlichte Eingeständnis "ich weiß es nicht" doch zutiefst menschlich. In dieserHinsicht mangele es vielen Lehrenden an Souveränität. "Das Ende der Selbstreflektion ist der Beginn der Mumifizierung der Persönlichkeit", zitierte er den Philosoph Karl Popper.
Heute sei Reflektion, zumal deren langsame Variante, allerdings nicht mehr gefragt. Alle Welt erwarte schnelle Entscheidungen. Wissenschaft sei unterdessen "keine Event-Geschichte, sondern ein langer, ruhiger Fluss". Lesch: "Wir sollten den Ball flach halten und offen bleiben für das, was ist." Etwa für die Schulmedizin. Deren Leistungen würden, im Vergleich zur Homöopathie, zumeist als völlig normal hingenommen. "Tatsächlich handelt es sich hier um ein Wunder." "Das Älterwerden", mochte er auf eine Stichelei Richtung Hahnemann-Heilverfahren nicht verzichten, "funktioniert aber nicht mit Verdünnung."
Die Teilnehmer der Weizsäcker-Gespräche führen in kleiner Runde einen kritischen Dialog zu Themen, in denen wesentliche Herausforderungen unserer Zeit zum Ausdruck kommen, charakterisiert die Gesellschaft ihre Zusammenkünfte. Das aktuelle Treffen wird sicherlich ein wenig legerer verlaufen sein als seine Vorgänger. Der bestens aufgelegte Referent - "eigentlich müsste ich mir noch schnell extrabreite rote Hosenträger anziehen" - ist, bei allem gebotenen Ernst, allemal für ein paar Flapsigkeiten gut.
"Falls wir mit den Treibhausgasen so weiter machen wie bisher, brauchen wir bald keine Theorien mehr, sondern einen stabilen Regenschirm", gab er zu Protokoll. Vielleicht war hinter den verschlossenen Türen auch der folgende Auszug aus einem früheren Vortrag (Thema: "Sind wir allein im Universum?") des Professors zu vernehmen: "Je mehr Erkenntnis wir über die Bedingungen für hochentwickeltes Leben gewinnen, um so geringer wird die Wahrscheinlichkeit außerirdischen Lebens - bereits unsere eigene Existenz muss uns völlig unmöglich erscheinen."