FISCHBECK. Begleitet vom Klang der Ringschellen und Rasseln und dem dumpfem „Dum-dum“, einer mächtigen Standpauke, ertönt es in Fischbeck im Saal des Taubblindenwerks als frohgelaunte Empfehlung aus etwa 30 Kehlen: „Versuch‘s mal mit Gemütlichkeit
...“ Es ist Mittwochnachmittag, und das Lied aus dem Walt Disneys-Film „Das Dschungelbuch“ ist, man kann es deutlich hören, eines der absoluten Lieblingsstücke der Musikgruppe, die sich einmal wöchentlich trifft. An diesem Mittwoch sind es besonders viele Sangesfreudige, die sich im Saal versammelt haben, um gemeinsam zu musizieren.
„Taubblinde, also Menschen ohne Gehör, die singen?“ So könnte man durchaus fragen. Aber ja doch, denn gar nicht so wenige der Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung verfügen über ein Resthörvermögen. Dadurch vermögen sie Musik nicht nur zu hören, sondern auch selbst wiederzugeben.
Das klappt sehr gut, wovon Gäste des Taubblindenwerks sich schon so manches Mal überzeugen konnten. Immer dann zum Beispiel, wenn die Musikgruppe bei Tagen der offenen Tür der Einrichtung vor Publikum aufgetreten ist und bewundernden Applaus bekommen hat.
Sie singen nicht nur mit erstaunlicher Tontreue, sie halten nicht nur mit ihren Schellen und Rasseln und auf der großen Pauke hervorragend den Takt, sie tun das auch mit einer Freude und Begeisterung, die geradezu ansteckend ist – was übrigens für Bewohner und Betreuerteam gleichermaßen gilt.
Auch an diesem Mittwochnachmittag ist dieses Glücksgefühl im Saal geradezu körperlich spürbar. Ohne Zweifel, der Mittwochnachmittag gehört für die Mitglieder der Musikgruppe zu den absoluten Höhepunkten im Wochenprogramm.
Einer, der sich darüber ganz besonders freut, ist Michael Böhle. Er ist langjähriger Werkstattleiter im Taubblindenwerk und hat die Gruppe bereits vor 20 Jahren gegründet. „Ich habe damals festgestellt, dass etliche unserer Bewohner gern Hörspielkassetten für Kinder abgespielt haben“, erzählt Michael Böhle. „Also“, habe er überlegt, „musste da doch etwas sein, etwas, das man vielleicht ausbauen könnte.“ Ideen für eine sinnvolle Beschäftigung der Bewohner seien in einer Einrichtung wie der in Fischbeck immer willkommen, weiß Böhle und so habe er die Musikgruppe ins Leben gerufen.
Zu Anfang ganz klein, sei die Gruppe sehr schnell größer geworden, sodass sie schon bald aus der Werkstatt in den großen Saal habe umziehen müssen. „Musik macht eben Spaß“, stellt der Werkstattleiter im Brustton der Überzeugung fest und fügt hinzu, „und Musik geht eben immer“.
Noch zwei Mitglieder aus den Reihen der Betreuer wissen das und gehören inzwischen zum festen Stamm des Ensembles: Klaus Schröder sitzt am Keyboard und Detlef Felischak hat sich als (O-Ton Böhle) „exzellenter Gitarrist“ in den Dienst der Gruppe gestellt. Gründer Michael Böhle ist indes nicht nur Chorleiter. Singend und die Gitarre spielend, fungiert er gewissermaßen als „Frontmann“, liest bei jedem Treffen zwischendurch eine kleine Geschichte vor, sucht die Lieder aus und verwaltet die Noten und Liedvorlagen.
Und dann ist da noch ein zweites Keyboard. Hinter dem nimmt, vor ungeduldiger Erwartung geradezu strahlend, regelmäßig Alexander Krins Platz. Der junge Mann ist zwar ebenfalls mehrfachbehindert, unter anderem vollkommen blind, verfügt aber über eine erstaunliche Sonderbegabung: Er ist hochmusikalisch. „Alexander spielt“, wie sein Betreuer Klaus Schröder versichert, „jede Melodie, die er einmal gehört hat, sofort auf dem Keyboard nach.“ Michael Böhle bestätigt das: „Alexander besteht sozusagen aus Musik, er geht gewissermaßen singend durchs Leben.“
Und so reiht auch Alexander sich ein in diesen freudestrahlenden Kreis gelebter Gemeinschaft und gemeinsam erlebter Musik.